Der klassische Journalismus erlebt seit einiger Zeit eine Vertrauenskrise. Kampfbegriffe wie Lügenpresse und Fake News stehen dabei im Zentrum einer Auseinandersetzung, die insbesondere die etablierten Medien vor neue Herausforderungen stellt.  Claus Kleber, Anchorman des ZDF heute-journals, hat mit seinem Buch „Rettet die Wahrheit“, das Anfang September erschienen ist, eine „Streitschrift“ vorgelegt, die verspricht, einen interessanten Beitrag zu diesem aktuellen Thema von einem der bekanntesten und exponiertesten Nachrichtenmachern Deutschlands zu liefern. Kleber tritt an, den seriösen Journalismus alter Schule in Zeiten medialer Umbrüche und neuer Anfeindungen zu verteidigen und für die Zukunft zu wappnen.

Wer allerdings erwartet hat, dass Klebers Streitschrift ein intellektuelles Niveau erreicht, das es ermöglichen würde, die Verschiebungen und Verwerfungen, die sich im aktuellen medial-gesellschaftlichen Diskurs abzeichnen, zu überblicken und einzuordnen, wird von diesem Buch enttäuscht sein. Stattdessen bleibt Kleber in seinen Ausführungen dicht an der Oberfläche dessen, was seine eigene Erfahrungswelt auszumachen scheint.: Er schafft es deshalb nicht, eine Differenzierung begrifflicher Kategorien und Ideen vorzunehmen, die es erlauben würde, das diskursive Feld zu beschreiben, innerhalb dessen er sich bewegt. Nicht zuletzt die Wahrheit, deren Rettung der Titel des Buches verspricht, bleibt als Begriff im Ungefähren.

Klebers Thema

Tatsächlich ist das auch gar nicht die Absicht Klebers. Die sechs Kapitel seines Buches dienen nämlich nicht dazu, eine Argumentation zu entwickeln und zu begründen, sondern dazu einen Standpunkt beziehungsweise einen Anspruch zu vermitteln, um daraus abschließend eine Forderung abzuleiten. Worum es ihm geht, wird bereits in der kurzen Anekdote deutlich, mit der Kleber sein Buch einleitet: Im Rahmen eines Vortrags vor der „verfluchten Elite“ weist Kleber empört den Vorwurf (den er zuvor selbst aufwirft) zurück, er sei in irgendeiner Weise seitens der Regierung beeinflussbar. Kleber ist entsetzt, dass sein Publikum ihm zutraut, nicht unabhängig zu sein und macht seinen Standpunkt klar: Das heute-journal sei nach seinem Verständnis das einflussreichste Nachrichtenmagazin überhaupt, er stehe mit seinem Kopf dafür, niemand aus Berlin habe je versucht auf die Sendung Einfluss zu nehmen und er könne es auch niemandem empfehlen. Sein Job sei es, Politiker mit Gegenpositionen zu konfrontieren und Schwächen Ihrer Argumentation offenzulegen. Am Ende des ersten Kapitels sind damit wesentliche Elemente des Berufsethos und des journalistischen Selbstverständnisses Klebers benannt, die jenen Anspruch begründen, der das eigentliche Thema des Buches ist. Diese Elemente sind: Staatsferne, Unabhängigkeit, Eigenverantwortung und Einfluss. In den folgenden Kapiteln wird diese Liste ergänzt durch: Professionalität, Engagement, Eliten-und Machtferne, Haltung, Vertrauenswürdigkeit und Transparenz.

Wozu das alles?

Das Berufsethos, der professionelle Selbstanspruch, den Kleber formuliert und dessen Vermittlung und Verteidigung, sind also das eigentliche Thema des Buches. Es ist eben dieser Selbstanspruch, den er in den unterschiedlichen Kapiteln den Herausforderungen gegenüberstellt, denen der Journalismus begegnet. Für Kleber sind das insbesondere die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit vom Staat und den Mächtigen, die Bedrohung demokratischer Gesellschaften durch gezielte Desinformation (Fake News) und die zunehmende Bedeutung der sozialen Medien. Die Analyse, dass diese Bereiche nicht nur für den Fernseh-Journalismus, dessen Anwalt Kleber ist, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt in Zukunft von besonderer Bedeutung sein werden (und es zum Teil schon sind), ist sicher nicht falsch. Und natürlich ist es auch legitim, dass der Fernsehmann Kleber mit seiner Streitschrift ein Plädoyer für seine Zunft vorlegt, das schließlich in der Forderung mündet, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland zu stärken. Das Ärgerliche an Klebers Buch ist, dass er in seinen Analysen zu oft ungenau und in seinen Folgerungen widersprüchlich ist. Vor allem aber ist es ärgerlich, dass er nicht in der Lage ist, diskursive Zusammenhänge offenzulegen und vor allem seine eigene Rolle  und die seines heute-journals im Zuge des Medienwandels zu erkennen.

Fake News vs. Wahrheit?

Das vierte Kapitel in Klebers Buch ist „Fakten und Wahrheit“ überschrieben. In diesem Kapitel widmet sich Kleber im Wesentlichen der Frage, welche Rolle Fake News im letzten US-Wahlkampf gespielt haben. Als Kenner der USA spürt der Autor den gesellschaftspolitischen Ursachen des Phänomens nach und findet sie im „Verfall der politischen Kultur der USA“, der in den 90er Jahren begonnen habe. Hier erkennt er den Nährboden auf dem die Fake News gedeihen konnten, denn: „Fake News sind wie andere Erreger auch: Sie setzen sich auf geschwächte Organismen.“ Deutschland sei, so Kleber, noch lange nicht so weit. Oder doch? Immerhin warnt der Autor, Deutschland sei nicht immun und begründet seine Sorge mit den Ergebnissen einer Allensbach-Umfrage: Danach antworteten 47% der Befragten „Anfang 2017 auf die zurückhaltende Frage, ob es »bei vielen Themen und in vielen Situationen klare Fakten gibt, die beweisbar sind und einfach stimmen«, mit einem entschiedenen »Ja«. Fast ebenso viele – 43 Prozent – finden, »was stimmt und was nicht«, sei »in vielen Fällen Ansichtssache. Es gibt oft kein ›Wahr‹ oder Falsch‹.«“ Claus Kleber findet das offenbar alarmierend und setzt hinzu, dass Bildungsunterschiede bei den Ergebnissen kaum eine Rolle gespielt hätten. Tatsächlich ist diese Stelle eine der wenigen in Klebers Buch, die Anlass hätten geben können, sich näher mit Fakten und Wahrheit auseinander zu setzen. Allerdings nicht so, wie Kleber vielleicht vermuten würde. Denn selbstverständlich gibt es gerade in politischen und gesellschaftlichen Diskursen viele Themen und Problemstellungen, die sich nicht mit dem Hinweis auf Fakten lösen lassen. Und natürlich ist es in vielen Fällen Ansichtssache, ob man etwas für wahr oder falsch hält. Davon abgesehen gibt es auch noch einen Unterschied zwischen Wahrheit und Faktizität. Kleber muss das wissen denn seiner Ansicht nach sind „Journalisten von Berufs wegen faktenorientierte Wesen.“ Es ist bedauerlich, dass er diesen Themenkomplex nicht wenigstens angeschnitten hat, zumal hier Aspekte berührt sind, die den Kern demokratischer Willensbildung und gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse – und damit die politische Kultur – betreffen. Stattdessen legt Kleber nach und zitiert eine weitere Umfrage von 2017 nach der 55% der Befragten sich bezüglich der Russlandberichterstattung den Medien gegenüber misstrauisch zeigten. Als Grund für dieses Misstrauen vermutet er das erfolgreiche Wirken russischer „Internet-Trolle, Bots und Staatsmedien“. Ob das die naheliegendste Erklärung ist, bleibt dahin gestellt. Einen Zusammenhang zu den durch das Internet veränderten Informationsmöglichkeiten, die die Spielregeln aller politischen, gesellschaftlichen und medialen Diskurse grundlegend verändert haben, stellt Kleber nicht her.

Social Media – Nerds und junge Leute bis 39

Diese eigenartige Blindheit bei gleichzeitigem Problembewusstsein offenbart Kleber auch im Kapitel „News and Social Media“. Das merkwürdigste an diesem Kapitel ist, dass der Autor darin einerseits die Vorstellung entwickelt, der Fernseh-Journalismus eines heute-journals könne auch in Zukunft die Rolle einer Art Nachrichten-Hegemons einnehmen, während er andererseits den sozialen Medien beinahe feindselig gegenüber steht und gleichzeitig eine erstaunliche Ignoranz an den Tag legt, wenn es darum geht die Mediennutzung jüngerer Publikumsschichten einzuschätzen.

Zu Beginn des Kapitels berichtet Kleber von einem Besuch in der Firmenzentrale von Facebook. Dort trifft er einen Top-Manager („Nerd“) des Unternehmens, der „dem großen Zampano Mark Zuckerberg direkt verantwortlich“ ist. Dieser Manager klärt Kleber darüber auf, dass ein Algorithmus entscheidet, was jeweils in der Timeline von Milliarden von Nutzern angezeigt wird. Kleber ist das „natürlich unheimlich“, aber er fürchtet, „dass das schon jetzt die Konkurrenz ist, gegen die wir antreten.“ – Das erste von vielen Missverständnissen, denen Kleber in diesem Zusammenhang aufsitzt. Kleber berichtet weiter: „Immer wieder schaue ich in ungläubige Gesichter, wenn ich vor gediegenen Leuten über Facebook als Nachrichtenquelle spreche.“ Und Kleber weiß, wenn diese gediegenen Leute erst einmal die Vorzüge sozialer Medien wie Facebook für sich entdeckt haben, „werden auch sie einen großen Teil ihrer Medienzeit zu solchen Anbietern tragen. Bis dahin müssen wir ihnen noch stärker die Überzeugung mitgeben, dass sie Wichtiges verpassen, wenn sie uns von der Stange gehen.“ Dieser kurze – und wie ich fürchte mit wenig Sympathie wiedergegebene – Abschnitt offenbart nur einen Teil des eigenartigen Verhältnisses, das Kleber zu den digitalen Medien im Allgemeinen und den sozialen Medien im Besonderen zu haben scheint. Man fragt sich warum hier die Rede vom großen Zampano Zuckerburg sein muss? Und man kann sich fragen warum – bei aller berechtigten Kritik – Algorithmen unheimlich sind? Klebers Antwort findet sich einige Seiten später: „Facebook & Co. wollen, dass wir unseren gesellschaftlichen Diskurs ihren Rechnern überlassen. […] Ihr »Newsfeed Algorithm« lockt die Nutzer immer tiefer in die Echokammern ihrer eigenen Vorstellungswelten, er dient den Spaltern und perfektioniert das Geschäftsmodell der Social-Media-Milliardäre.“ Das klingt fast paranoid. Es ist bemerkenswert, dass Kleber nicht nur an dieser Stelle eine Abneigung gegenüber den Mächtigen und den Eliten durchblicken lässt, während er kurz darauf den Erhalt des eigenen Einflusses und den des eigenen Mediums zum Programm macht. Man fragt sich auch, warum Kleber glaubt, Facebook sei seine Konkurrenz? Er muss doch wissen, das Facebook kein Nachrichtenproduzent ist, und dass auch die Nachrichtenangebote des ZDF längt in den sozialen Netzwerken präsent sind. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht fühlt sich Claus Kleber (als Repräsentant der Fernsehnachrichten) auch tatsächlich bedroht, durch eine Medienwirklichkeit die dem linearen Informations- und Unterhaltungsangebot seines Mediums zunehmend die Relevanz nimmt. Dafür spricht die „erschreckende Erkenntnis“ die Kleber im Nachgang des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 07.01.2015 gemacht hat. Ausgerechnet diesen Tag nämlich hat ein ZDF-Stratege gewählt, um Kleber zu verdeutlichen, dass er und sein heute-journal weite Teile der jungen Zielgruppe (14-39 Jahre) nicht mehr erreicht. Die Analyse der Zuschauerzahlen an diesem Tag hat ergeben, dass in der betreffenden Altersgruppe nicht mal zehn Prozent eine der großen Abendnachrichtensendungen gesehen hat. Und das an einem Tag, „an dem man als News-Mensch damit rechnen durfte, dass alle auf unsere Arbeit schauen.“ Zumal Paris als Medien-Knotenpunkt alle technischen, personellen und logistischen Möglichkeiten bietet, um „ sich bis zur Primetime am Abend mit Hintergründen zu befassen, Experten an Land zu ziehen, Karten, Grafiken und Chronologien vorzubereiten. Jeder[…] musste eigentlich gespannt sein auf neue Informationen.“ Und dann das! „Wo bleiben die 20 Millionen 14 bis 39-Jährigen am Abend des Terrors gegen Charlie Hebdo?“, fragt Claus Kleber, „Sie haben doch wohl mitbekommen, was in Paris passiert ist.“ Ja, das haben sie. Und Kleber weiß natürlich, dass „das Massen-Informationsmedium in dieser Altersgruppe“ die sozialen Medien sind. Trotzdem Ratlosigkeit: „Da ist ja nicht von Kids die Rede, denen man im Laufe der Zeit »schon noch klassisches Sehverhalten beibringen« wird. 39-Jährige stehen mitten im Leben und in Verantwortung.“ – Tja, was soll man dazu sagen? Ist es ein Zeichen von Verantwortung, pünktlich zum heute-journal den Fernseher einzuschalten, um sich von Claus Kleber die Nachrichten vorlesen zu lassen, die man im Laufe des Tages selbstverständlich schon mitbekommen hat? Beziehen Menschen zwischen 14 und 39 Jahren ihre Informationen wirklich primär aus den sozialen Medien? Und wenn ja, was bedeutet das? Ist es nicht vielmehr so, dass die Zielgruppe der 14 bis 39-Jährigen sich in ihrer Mediennutzung schon so sehr unterscheidet, dass es sich verbietet, hier zu verallgemeinern? Und vor allem: Ist ein Terroranschlag in Paris ein Medienereignis oder ein schreckliches Verbrechen und eine Tragödie? Und welche Rolle spielt es da, auf welchem Weg sich eine bestimmte Zielgruppe über dieses Ereignis informiert?

Kleber ist der Ansicht, wir hätten (und auch über diese ‚wir‘ wäre noch zu reden) es „mit einer Generation des »gazing, scanning, snacking and zapping« (des flüchtigen Schauens, Überfliegens, Knabberns und Wegschaltens)“ zu tun. „ Auch solche Bürger und Wähler bilden sich Urteile. Aber auf welcher Grundlage?“, fragt Kleber. Es ist natürlich dem Selbstbild des Autors geschuldet, der nicht nur Nachrichten präsentieren, sondern sie auch aus einer Haltung heraus einordnen und erklären will. Aber ist den Kleber wirklich der Meinung, mündige Bürger seien nicht in der Lage, sich ein Urteil zu bilden, ohne klassische Medien wie das heute-journal zu konsumieren? Ist es möglich, dass er den Medienwandel und die damit einhergehenden diskursiven Verschiebungen so wenig versteht? Ist er wirklich so ignorant?

Klebers Antwort auf eine sich verändernde Medienrealität ist die Selbstvergewisserung durch das Bekenntnis zum „alten Ethos“ seines Berufsstands. Er ist überzeugt, dass auch in Zeiten digitaler Medien das Nachrichtengeschäft „eine Sache für Profis bleibt“. Natürlich, wer würde dem nicht zustimmen wollen? Verlässliche Informationen sind nach wie vor elementar für die politische Willensbildung und der Journalismus wird nicht umsonst als vierte Gewalt bezeichnet. Zweifel an Klebers Interpretation des journalistischen Ethos und an der Bedeutung die er Nachrichtenformaten wie seinem heute-journal beimisst sind dennoch angebracht. Es sind zum Beispiel die Momente in Klebers Buch, in denen es um den Publikumserfolg seiner Sendung geht, die stutzen lassen. Geht es hier um Informationsvermittlung oder um Quote? Um Nachrichten oder Unterhaltung? Es sind auch die Momente in denen Kleber über Haltung spricht. Etwa wenn er Hajo Friedrichs Diktum, ein guter Journalist dürfe sich auch nicht mit einer gute Sache gemein machen, zitiert, um dann festzustellen, es müsse ins Gegenteil verkehrt werden, „wenn Personen oder Gruppen Grundwerte von Freiheit und Menschenwürde angreifen oder auch nur zur Disposition stellen. Dann ist nicht »raushalten« gefordert, sondern Haltung und Engagement.“ Es fällt schwer dem zu widersprechen. Andererseits: Was ist Friedrichs Aufforderung zur unbedingten Überparteilichkeit dann noch wert? Wie viel Haltung und Engagement verträgt der Journalismus, ohne mündige Bürger zu bevormunden? Und es sind natürlich auch die Momente, in denen Kleber einen Anspruch auf Einfluss in einer veränderten Medienumgebung formuliert und dabei fundamentale Veränderungen durch die Digitalisierung gar nicht zu verstehen scheint. Etwa wenn er beklagt, die Gruppe der 14 bis 39-Jährigen nicht mehr zu erreichen, um im Anschluss an die Forderung nach einer besseren Ausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks festzustellen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Zukunft „darf nach Lage der Dinge und nach dem Interesse des Publikums kein Ghetto für Kultur und Information bedeuten. Nachrichten von ARD und ZDF sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie eingebettet sind in ein populäres Vollprogramm […] Die News sind darauf angewiesen, dass diese Angebote mit neuen, innovativen Programmen jüngeres Publikum erreichen. Auch das kostet Geld.“ Nein, Herr Kleber, die jungen Menschen werden nicht an das Lagerfeuer des 20. Jahrhunderts zurückkehren. Auch nicht wenn sie 40 sind und auch nicht, wenn Sie noch einen Scheit aufwerfen.

Claus Klebers Wahrheit

Schließlich sind es die Momente, in denen Kleber die Wahrheit retten will. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Kelber keine klaren Begriffe von Wahrheit, Fakten oder Faktizität hat. Das liegt zum Teil daran, dass diese Begriffe durch die Haltung überlagert werden, die er sich zu Eigen macht. Im Zusammenhang damit steht ein anderes Problem: Es betrifft die Frage, wovor Kleber die Wahrheit retten will. Für Kleber ist die Wahrheit zunächst in zweierlei Hinsicht bedroht: Zum einen durch Fake News, zum anderen durch jenen gesellschaftlichen Konflikt, der sich vielleicht unter der Überschrift Lügenpresse zusammenfassen lässt. Im Falle der Fake News ist die Sache eigentlich klar. Hier geht es um Fakten: Ob eine Aussage in diesem Sinne richtig oder falsch ist, lässt sich nachprüfen. Wenn seitens bestimmter politischer oder gesellschaftlicher Akteure gezielt Lügen verbreitet werden, ist das natürlich eine Herausforderung für die Gesellschaft im Allgemeinen und den Journalismus im Speziellen. Das liegt auch daran, dass Kommunikation in der Regel auf Vertrauen beruht. Um Vertrauen geht es auch in Bezug auf die Lügenpresse-Thematik. Kleber befasst sich mit diesem Thema im Kapitel „Der verdammte Mainstream“, in dem er viel Selbstkritik äußert und sich dafür ausspricht, dem Mainstream zu widerstehen. Auch in diesem Zusammenhang geht es eigentlich nicht um Wahrheit, sondern um die Behauptung von Wahrhaftigkeit. Also um die Frage, ob es den etablierten Medien gelingt, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen die sich von ihnen abgewendet haben. Dass Kleber für derartige Differenzierungen nicht viel übrig hat, zeigt folgendes Beispiel: Das Kapitel „Fakten und Wahrheit“ eröffnet Kleber mit einem Zitat von John Adams: „Tatsachen sind hartnäckige Dinger. Gleichgültig, was unsere Wünsche, Neigungen oder die Gebote unserer Leidenschaften sind – sie können Fakten und Beweise nicht ändern.“ Am Ende des Kapitels schreibt Kleber: „Es gibt so etwas wie gesicherte Wahrheiten, die wir nicht mehr in Frage stellen lassen. Die Erde ist keine Scheibe, Elvis ist leider tot, und die Menschheit wurde nicht an einem Donnerstagnachmittag vor 4021 Jahren erschaffen.“ Der Unterschied zwischen Claus Kleber und John Adams ist, dass Adams sehr genau weiß, was ein Faktum und was eine Wahrheit ist. An Klebers Stelle hätte er sicher geschrieben: „Es gibt so etwas wie gesicherte Fakten usw.“ Die Erde ist mehr oder weniger rund. Das ist ein Faktum: Sie wäre auch rund, wenn ich mir wünschen würde, sie wäre eine Scheibe. Dass (wissenschaftliche) Fakten in aufgeklärten Gesellschaften heute eine entscheidende Rolle spielen, ist keine Selbstverständlichkeit. Auf dem Weg dahin mussten viele Wahrheiten überwunden werden. Sie wurden abgelöst durch die universellen Werte, die das Fundament der modernen, pluralistischen Demokratien westlicher Prägung bilden. Auch das wusste John Adams, denn die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, deren Mitunterzeichner er ist, beginnt mit den Worten: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal…“ („Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden…“).

In Deutschland stehen diese Wahrheiten in den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes. Sie müssen geschützt aber nicht gerettet werden. Der politische und gesellschaftliche Diskurs in offenen demokratischen Gesellschaften ist geprägt von permanenten Aushandlungsprozessen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, Parteien, Weltanschauungen, Ideologien, subjektiven Wahrheiten usw. Dabei ist es oft genug schwierig, selbst über Fakten Einvernehmen zu erzielen. Wer sich konstruktiv in den Diskurs einbringen will, muss versuchen, zu informieren und argumentativ zu überzeugen. Mit noch mehr Wahrheiten wird das nicht gelingen. Und auch nicht wenn man mündigen Bürgern die Kompetenz abspricht, moderne Kommunikationsmittel zu nutzen, ohne sich dabei in Echokammern zu verirren.

Anders als der Titel vermuten lässt, hat Claus Kleber zur Wahrheit nichts zu sagen. Er segelt unter falscher Flagge und ich bin mir nicht einmal sicher, ob er das weiß. Wenn man Klebers Beschreibung seines typischen Arbeitstages glauben darf, hat er zwischen der ersten Telefonkonferenz am Morgen und dem Beginn seiner Sendung am Abend kaum Zeit, sich die Schuhe zu binden. Man würde sich wünschen, er hätte sich für sein Buch mehr Zeit genommen.

 

Claus Kleber: Rettet die Wahrheit. Berlin 2017 ;Ullstein, 94 Seiten, 8 EUR